Inhaltsverzeichnis:
Der zehnjährige Günther schnappt sich
einen der frechen Zuckerldiebe, die sich regelmäßig in Omas
Zuckerlgeschäft bedienen. Unverhofft ist dies der Beginn einer
großen Freundschaft, und bald beschließen fünf Wiener Jungs,
die Good Boys Gang zu gründen. Zusammen haben sie ihren Spaß,
aber auch eine tolle Aufgabe: Günther und seine Freunde helfen,
wo Not am Manne ist - älteren Menschen, wehrlosen Tieren,
einsamen Leuten. Als sie dann noch einem geheimnisvollen
Stadtstreicher begegnen und Unterricht von einem chinesischen
Kung-Fu-Lehrer erhalten, macht ihr sinnreiches Beispiel Schule
in der großen Stadt...
Leseprobe aus Kapitel "Eine andere
Welt":
Sie waren vor einer großen, schön
geschwungenen Tür angekommen. Die Sonne schien durch die
großen Gangfenster, und man konnte deutlich sehen, dass alles
Holz neu gestrichen war.
Sanyasi klopfte.
Die Spannung erhöhte sich. Wer würde
herauskommen? Wie würde er aussehen? Wie würde er sie ansehen?
Mit strenger Miene?
Die Tür ging auf.
Günther, der ganz vorne neben Sanyasi
stand, sah ihn zuerst. Eine weiß gekleidete Gestalt,
blauschwarze, glatte Haare, Stirnfransen, längerer Pagenschnitt,
brauner Teint und - oh Gott! - diese Schlitzaugen!
Günther hatte solche Augen noch nie aus der Nähe gesehen,
sicher konnten sie sehr streng, gefährlich und auch
respekteinflößend blicken.
Im Moment aber wurden sie so weit
aufgerissen, wie es bei Schlitzaugen nur möglich war, und über
das ganze Gesicht breitete sich ein glückliches Lächeln aus,
als er sagte: "Nicht möglich! Sanyasi inmitten von
Kindern!"
Sie begrüßten sich herzlich, und
Günther bemerkte einen sonderbaren Akzent, als Kenrik alle in
seine Wohnung bat.
Plötzlich war man in einer anderen
Welt: chinesische Malereien und Kalender hingen an den Wänden,
chinesische Lampen, Bodenvasen, sogar ein schön bemalter
Paravant stand im Zimmer, und von irgendwoher kam leise
chinesische Musik. Die Stimme der Sängerein klang zart und
schön, aber auch etwas traurig.
Kenrik holte noch ein paar bestickte
Seidenpolster mehr, und sie setzten sich alle um einen reich
verzierten, niedrigen Holztisch herum auf den Boden.
Günther sah, dass Kenrik mit
verschränkten Beinen da saß und tat es ihm nach. Candy beeilte
sich ebenfalls, sich richtig hinzusetzen, und auch Siegfried war
bald so weit. Nur Klaus und Bauch kämpften. Klaus sah aus wie
ein steifes, ungelenkiges Skelett, und Bauch hatte so dicke
Oberschenkel , dass für die Unterschenkel kein Platz war.
Günther und Candy sahen sich an und mussten mit aller Kraft
einen Lachkrampf unterdrücken. Der Anblick war einfach zu
komisch.
Kenrik hatte alles mit einem Blick
registriert.
Sanyasi saß im perfekten Lotussitz da,
Günther bewunderte ihn. Wie gelenkig er doch in seinem Alter
noch war! Dabei fiel ihm ein, dass er ihn noch gar nicht gefragt
hatte, ob er auch Kung-Fu gelernt hatte.
"Ich habe auch Kung-Fu
gelernt", sagte Sanyasi da, und Günther hatte wieder
einmal das Gefühl, dass sein mysteriöser Freund Gedanken lesen
konnte. "Das war damals in Kenriks Schule in Amerika."
"Oh, Sie haben auch eine Schule in
Amerika?" Candy war begeistert.
"Ja. Ich habe Familienmitglieder,
die Chinarestaurants in Amerika, hier in Wien, in Taiwan und
natürlich in China, in Shanghai, betreiben. Ich pendle zwischen
diesen Orten hin und her. Meine Söhne gehen noch zur Schule,
und deshalb leben sie mit ihrer Mutter in China. Wir sehen uns
immer in den Ferien. Wo ich gerade bin, nehme ich für ein, zwei
Jahre Schüler auf. Natürlich kann man nicht in zwei Jahren
Kung-Fu lernen. Um echtes Kung-Fu zu lernen, muss man ihm sein
ganzes Leben widmen. Aber ich lehre ein Kung-Fu, das auf die
Lage hier in Wien zugeschnitten ist. Und selbst das lehre ich
nur solchen Personen, die es auch wert sind."
Nun sah Kenrik langsam in die Runde.
Er begann bei Günther, und dieser
hatte das Gefühl, er säße in einem Röntgenstuhl. Kenriks
Augen gingen bis auf den Grund seiner Seele.
Wird Kenrik den 5 Freunden sein
geheimnisvolles Kung-Fu beibringen? Die Antwort findest du auf
Seite 45. |